Interview
«Wir sind zur richtigen Zeit auf den Zug aufgesprungen»
Als Zugpferd des Schweizer New Space möchte sich die Waadtländer Firma Astrocast einen Platz an der Sonne im boomenden Markt des Internets der Dinge sichern. Wir haben mit CEO Fabien Jordan gesprochen.
Bertrand Beauté
Manchmal ist es besser, sich den Börsenkurs eines Unternehmens nicht zu genau anzusehen. Im August 2021 hatte das Waadtländer Unternehmen Astrocast von sich reden gemacht, als man nach der Kotierung an der Euronext Growth in Oslo (Norwegen) 40 Mio. Franken beschaffen konnte. Getragen von der Euphorie der Anleger kletterte die Aktie an ihrem ersten Handelstag von 30 norwegischen Kronen (3,15 Franken) bei der Eröffnung auf 85 Kronen (8,80 Franken) bei Börsenschluss, was einem Kursanstieg von mehr als 180 Prozent entspricht. Zwei Jahre später hat sich der Wind gedreht und die Astrocast-Aktie ist nur noch drei Kronen wert. Dieser Rückschlag an den Märkten darf jedoch nicht über das Potenzial des Waadtländer Start-ups hinwegtäuschen, dessen Dienst seit Anfang 2022 in Betrieb ist, wie sein CEO Fabien Jordan im Interview erklärt.
Wie die meisten New-Space-Akteure hat auch Astrocast seit der direkten Kotierung an der Osloer Börse 2021 einen Kurseinbruch der Aktie hinnehmen müssen. Wie erklären Sie diesen Absturz?
Wir wurden durch die allgemeine Stimmung beeinträchtigt. Die letzten beiden Jahre waren für alle Technologieunternehmen schwierig auf den Märkten. Astrocast ist da keine Ausnahme. 2021 waren wir äusserst froh, dass wir die für unser Wachstum erforderlichen 40 Mio. Franken aufbringen konnten, indem wir über eine Direktkotierung in die Euronext Growth der Osloer Börse aufgenommen wurden. Dann änderten sich die Marktbedingungen und unsere Aktie fiel in den Keller. Ein weiterer Faktor belastete unsere Aktie: Wir hatten geplant, im Sommer 2022 an die Euronext Paris zu gehen, um mehr Kapital zu beschaffen. Wegen des ungünstigen Börsenumfelds mussten wir das Vorhaben jedoch aufgeben. Das hat ein sehr negatives Signal an den Markt ausgesendet.
Denken Sie, dass sich Ihre Aktie wieder erholen kann?
Heute bewertet uns der Markt nicht besonders gut. Mit dem derzeitigen Aktienkurs können wir nicht zufrieden sein. Dennoch sollten wir uns von unserer augenblicklichen Bewertung lösen und Astrocasts Potenzial betrachten. Im Gegensatz zu vielen New-Space-Akteuren, die sich noch in der Forschungs- und Entwicklungsphase befinden, haben wir bereits eine Konstellation von 20 funktionierenden Satelliten in der Umlaufbahn, darunter zwei Demonstratoren und 18, die für unseren kommerziellen Dienst genutzt werden. Damit sind wir der erste und einzige Satellitenbetreiber in der Schweiz und – gemessen an der Anzahl der aktiven Satelliten – der drittgrösste Akteur in Europa. Wir haben also einen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz, da unser Dienst seit Anfang 2022 in Betrieb ist. Ich denke, wenn wir unseren Geschäftsplan weiterhin umsetzen und es uns gelingt, die erforderlichen zusätzlichen Mittel zu beschaffen, wird uns der Markt schliesslich belohnen und zu unserem tatsächlichen Wert aufwerten. Deshalb meine ich, dass Astrocast für Investoren, Risikokapitalgesellschaften und zweckgebundene Fonds heute eine gute Gelegenheit darstellt, weil wir zur richtigen Zeit auf den Zug aufgesprungen sind.
85 Prozent der Erdoberfläche sind nicht von einem Mobilfunknetz abgedeckt
Sie bieten über Satelliten einen Verbindungsdienst für das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) an. Inwiefern ist das von Nutzen?
Es gibt offensichtlich einen weltweiten Bedarf an Internetverbindungen. Denn während etwa 80 Prozent der Weltbevölkerung in einem Gebiet mit Mobilfunknetzen leben, sind 85 Prozent der Erdoberfläche nicht abgedeckt. Wie kann man sich in diesen Gegenden ins Internet einloggen? Die einzige Antwort ist eine Internetverbindung über Satelliten. Elon Musk bietet mit Starlink eine teure Breitbandlösung an, die ideal ist, um sich auf seiner Yacht mitten auf dem Meer Netflix-Filme anzusehen. Bei Astrocast befinden wir uns am anderen Ende des Marktes: Wir verbinden über Satellit Objekte, die kleine Nachrichten senden und nur ein paar Mal am Tag eine Internetverbindung benötigen. Dies ist eine miniaturisierte Schmalband-Lösung, die viel billiger ist als das Starlink-System und sich ideal für das IoT eignet.
Welche Sektoren brauchen einen solchen Dienst?
Wir haben verschiedene Branchen im Auge. Da ist zunächst der Seetransport. Mit unserem Gerät lassen sich nämlich Warencontainer während der Beförderung verfolgen. Unser wichtigster Kunde in diesem Segment ist das israelische Unternehmen Arrowspot. Der zweite Bereich ist die Agrartechnik. Um Wasser-, Pestizid- oder Düngemittel-Ressourcen zu optimieren, setzt die Agrarindustrie immer mehr Sensoren ein. Damit sie funktionieren, müssen sie jedoch mit dem Internet verbunden sein. Unsere Technologie ermöglicht das in den Gebieten, die nicht vom Mobilfunknetz abgedeckt sind. Wir arbeiten beispielsweise mit Unternehmen wie Avirtech in Indonesien und Digitanimal in Spanien zusammen. Schliesslich sind auch die Bereiche Umwelt, also Wetterstationen, Überwachung des Klimawandels, Feuermeldesysteme, Energie, hier geht es um Überwachung und vorausschauende Wartung von Anlagen, oder Fischerei, die Verfolgung von Schiffen auf hoher See, zu nennen. Sie bieten alle echte Absatzmöglichkeiten für unser Angebot.
Wie gross ist Ihr adressierbarer Markt?
Der IoT-Sektor im Allgemeinen ist ein riesiger Markt, denn man erwartet, dass die Zahl der vernetzten Objekte weltweit explodieren wird. Die meisten dieser Objekte werden über terrestrische Netzwerke wie Mobilfunk, WLAN, LoRa, Bluetooth usw. verbunden sein. Das satellitengestützte IoT macht nur einen Teil dieses Bereichs aus, der sich hauptsächlich auf dünn besiedelte, ländliche Gebiete konzentriert, in denen die Konnektivität mangelhaft oder nicht vorhanden ist. Man muss also realistisch bleiben und darf diesen Markt nicht überschätzen. Nach Schätzungen von Markets & Markets könnte das satellitengestützte IoT 2027 einen Wert von 2,9 Mrd. Dollar erreichen, gegenüber 1,1 Mrd. Dollar 2022, was einem jährlichen Wachstum von 21,9 Prozent entspricht. Ich bin jedoch bei derartigen Schätzungen immer vorsichtig, da es darauf ankommt, was man in die Berechnungen einbezieht. Eins ist sicher: Es gibt zahlreiche Möglichkeiten.
« Mit jedem Verkauf generieren wir langfristige Einnahmen »
Ihr Dienst ist seit Anfang 2022 in Betrieb. Bis wann wollen Sie die Rentabilitätsschwelle erreichen?
Wir werden ab 2023 die ersten nennenswerten Einnahmen erzielen und erwarten, 2026 rentabel zu sein. Unser Geschäftsmodell ist ziemlich traditionell. Ähnlich wie Mobilfunkanbieter verkaufen wir unseren Kunden die Hardware, vergleichbar mit einer SIM-Karte in Smartphones, mit einer geringen Gewinnspanne. Anschliessend zahlen sie ein monatliches Abonnement, das sich auf einige Franken pro Monat und Gerät beläuft. Über dieses Abonnement erzielen wir eine hohe Gewinnspanne. Zurzeit befinden wir uns in der Vermarktungsphase, sodass der Grossteil unserer Einnahmen aus dem Verkauf von Hardware stammt. Nach und nach werden die Abonnements an Bedeutung gewinnen und unsere Margen erhöhen. Und im Gegensatz zu dem, was bei Telefonen üblich ist, wird ein Kunde, der sich für unser System entschieden hat, nicht von heute auf morgen den Anbieter wechseln. In der Schifffahrt zum Beispiel beträgt die durchschnittliche Lebensdauer von Geräten zur Containerverfolgung acht Jahre. Mit jedem Verkauf generieren wir also langfristige Einnahmen.
Andere Unternehmen, wie der amerikanische Riese Iridium Communications, bieten ähnliche Dienste an wie Sie. Wie können Sie mit diesen grossen Anbietern konkurrieren?
Im Gegensatz zu anderen Anbietern wurde unser Dienst von Anfang an für das IoT konzipiert, und daher ist er effizienter und deutlich billiger als die Konkurrenz. Dank unserer Nanosatelliten mit günstigen Herstellungs- und Startkosten können wir sehr attraktive Preise für unsere monatlichen Datenabonnements anbieten, was für den Erfolg im IoT-Bereich unerlässlich ist. Auf einer eher technischen Ebene haben wir Zugang zu den besten Frequenzen, dem L-Band.
Dadurch können wir unseren Kunden miniaturisierte Antennen anbieten, die sich bestens für tragbare Produkte eignen, die bewegliche Objekte ausrüsten. Ein weiterer wesentlicher Vorteil ist unser sehr geringer Energieverbrauch. Schliesslich sind wir sehr agil, sodass wir in der Lage sind, uns an die Bedürfnisse unserer Kunden anzupassen, da wir die gesamte Wertschöpfungskette beherrschen. Wir stellen sowohl die Nanosatelliten, die wir im Orbit betreiben, als auch die Chips, mit denen die Produkte am Boden ausgestattet sind, selbst her. Wir verwalten auch die sichere Datenplattform, auf der unsere Kunden ihre verschlüsselten Daten von ihren vernetzten Objekten abrufen. So haben wir die Möglichkeit, unsere Infrastruktur weiterzuentwickeln, um uns ständig an die Wünsche unserer Kunden oder an die Konkurrenz anzupassen.
Sie haben sich dafür entschieden, lieber in Norwegen an die Osloer Börse zu gehen als an die SIX. Ist es ein Nachteil, ein Schweizer Unternehmen in der Welt der Raumfahrtindustrie zu sein?
Wir haben uns vor allem wegen des industriellen Netzwerks Norwegens für Oslo entschieden. In diesem Land gibt es viele Unternehmen, die in den Bereichen Schifffahrt, Energie und Umwelt tätig sind. Und das sind potenzielle Kunden für Astrocast. Ausserdem waren die nordischen Märkte 2021 sehr dynamisch, was es uns ermöglicht hat, 40 Mio. Franken zu beschaffen. Die grösste Schwierigkeit für ein im Raumfahrtbereich tätiges Unternehmen in der Schweiz ist die fehlende staatliche Unterstützung. New Space ist ein sehr investitionsintensiver Sektor. In den USA, Kanada, der Europäischen Union oder Australien engagieren sich die Regierungen, sie beteiligen sich an der Finanzierung und am Risiko. Ohne die Unterstützung der US-Regierung hätte es SpaceX nie gegeben! In der Schweiz gibt es diese Unterstützung nicht. Das geht so weit, dass uns Investoren gefragt haben, ob es nicht besser wäre, Astrocasts Sitz in ein anderes Land zu verlegen.
Wir sind stolz darauf, in der Schweiz zu sein, und möchten dieses einzigartige Know-how um jeden Preis in der Region halten. Aber es ist klar, dass wir mehr lokale Unterstützung benötigen. Andernfalls könnte das Unternehmen schnell in eine kritische Situation geraten und in ausländischen Händen enden.