Die Welt steht auf Plastik 

Bis 2060 wird sich der weltweite Kunststoffverbrauch verdreifachen, wenn nichts unternommen wird, um den Trend zu brechen. Und selbst im besten Fall dürfte sich die produzierte Menge fast verdoppeln. 

Bertrand Beauté

Kunststoff begegnet uns überall im Alltag. Er dient als Verpackung für Lebensmittel und ist in den meisten Gebrauchsgegenständen zu finden, von Computern über Kleidung und Zahnbürsten bis hin zu Autos. Auch auf medizinischem Gebiet ist Kunststoff allgegenwärtig, denn aufgrund seiner Eigenschaften ist er besonders geeignet, um die Sterilität beispielsweise von Kathetern oder Transfusionsbeuteln zu gewährleisten. Weniger sichtbar ist, dass er zugleich die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken, und die Böden, die wir bewirtschaften, verschmutzt.

Dem Branchenverband Plastics Europe zufolge wurden 2021 weltweit 390,7 Millionen Tonnen Kunststoff produziert. Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) geht es sogar um 460 Millionen Tonnen. Die von uns befragten Experten sind etwas vorsichtiger – sie schätzen die Produktionsmenge auf «über 400 Millionen Tonnen pro Jahr». 

Aber unabhängig von solchen Zahlenangaben und den jeweiligen Quellen sind sich alle Fachleute einig: Die Menschheit hat noch nie so viel Kunststoff konsumiert wie heute. Und dieser Trend scheint sich vorerst auch nicht umzukehren. «Der Verbrauch und die Produktion werden weiter steigen, weil wir dieses Material brauchen», konstatiert Tzoulianna Leventi, Investment- und ESG-Analystin bei Abrdn. Der Trend scheint sich sogar noch zu beschleunigen. Der erste Kunststoff wurde Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt, aber die grösste Mengen, fast 60 Prozent aller Kunststoffe, sind erst nach dem Jahr 2000 hergestellt worden. 

Wenn nichts unternommen wird, könnte sich der weltweite Verbrauch bis 2060 auf 1’231 Millionen Tonnen pro Jahr verdreifachen, wie dem Bericht «Global Plastics Outlook: Policy Scenarios to 2060» zu entnehmen ist, den die OECD im Juni 2022 veröffentlicht hat. «Weltweit werden viele neue Vorschriften erlassen, um diese erwartete Zunahme zu bremsen», beschwichtigt jedoch Clément Maclou, Verwalter von thematischen Vermögenswerten bei ODDO BHF. Doch gleichwohl dürfte die Verwendung von Kunststoffen weiter zunehmen. So prognostiziert die OECD, dass der Kunststoffverbrauch bis 2060 auf 1’018 Millionen Tonnen pro Jahr ansteigen wird, wenn regionale Massnahmen ergriffen werden. Im Falle eines unwahrscheinlichen weltweiten Aktionsplans würde sich diese Zahl auf 827 Millionen Tonnen pro Jahr verringern, was im Vergleich zur aktuellen Situation immerhin noch einen Anstieg um 80 Prozent bedeuten würde. «Die Kunststoffindustrie ist ein sehr wichtiger Markt, der jährlich fast 600 Mrd. Dollar generiert», berichtet Kokou Agbo-Bloua, Global Head of Macro Research bei Société Générale. «Den meisten Studien zufolge wird dieser Sektor bis 2030 auf 800 Mrd. Dollar anwachsen.» Grand View Research bestätigt diese Angaben. Das kalifornische Marktforschungsunternehmen geht davon aus, dass der Kunststoffmarkt von 609 Mrd. Dollar im Jahr 2022 auf 811 Mrd. Dollar im Jahr 2030 ansteigen wird, was einem jährlichen Wachstum von 3,7 Prozent entspricht. Dieses gigantische Geschäft teilen sich einige wenige Konzerne, die den Grossteil des weltweiten Kunststoffs herstellen. Dazu gehören vor allem Ölriesen wie Exxon Mobil (USA) und Eni (Italien) sowie grosse Chemiekonzerne wie BASF (Deutschland), Ineos (Grossbritannien), LyondellBasell (USA) und Sabic (Saudi-Arabien). 

Aber wie lässt sich erklären, dass der Kunststoffkonsum weiter zunimmt, obwohl immer mehr Menschen sich über die Folgen im Klaren werden? «Der Verbrauch dieses Werkstoffs ist eng mit dem Bruttoinlandsprodukt verbunden. Je reicher ein Land ist, desto mehr verbraucht es davon», antwortet Kokou Agbo-Bloua. Anders ausgedrückt: Das Aufkommen einer Mittelschicht in einigen Ländern, vor allem in China, wird den Kunststoffverbrauch noch jahrelang in die Höhe treiben, zumal es den reichen Ländern nicht gelingt, ihren übermässigen Verbrauch zu zügeln. 

Laut Plastics Europe, einem Verband der Kunststoffproduzenten, wächst die jährliche Nachfrage nach Kunststoff auf dem alten Kontinent weiter an. Sie lag 2021 bei 50,3 Millionen Tonnen, während sie sich fünf Jahre zuvor auf 49,9 Millionen Tonnen belief. Der Verbrauch steigt also weiter an, trotz der Massnahmen, die Europa ergriffen hat, um die Verwendung von Kunststoff einzuschränken. 

«Es ist schwierig, den Kunststoffverbrauch zu reduzieren, weil es sich um einen tollen Werkstoff handelt», räumt Julien Boucher, Präsident und Gründer von Environmental Action, in einem Interview mit uns ein. «Kunststoff ist leicht, es ist einfach herzustellen, nicht teuer und besitzt hervorragende Eigenschaften.» In der Tat. Welches andere Material kann sich schon rühmen, je nach Herstellungsverfahren flexibel oder steif, transparent oder opak, widerstandsfähig oder spröde, weich oder hart zu sein? Glas beispielsweise ist immer schwer und zerbrechlich. Pappe hingegen ist nicht wasserfest und zerfällt. Aber das betrifft nicht nur den Verpackungssektor. In der Modebranche kommen Kunststofffasern – vor allem Polyamid, Polyester, Acryl oder Nylon – zum Einsatz, die den Produkten stark gefragte Eigenschaften verleihen. Sie sind elastisch, fühlen sich weich an, trocknen schnell und sind leichter als Naturfasern wie Baumwolle. 

Versandfolien besser als Papierumschläge

Ein weiterer entscheidender Vorteil von Kunststoff ist, dass seine CO2-Bilanz während des gesamten Lebenszyklus oft besser ist als die von potenziellen Ersatzmaterialien. «Wenn man den Transport eines Kunststoffprodukts miteinbezieht, verursacht es über den ganzen Verwendungszyklus betrachtet vergleichsweise wenig CO2», erklärt Pieter Busscher, Senior Portfolio Manager für die Smart Materials Anlagestrategie bei Robeco in der Schweiz. «Aus diesem Grund sowie aufgrund der Tatsache, dass wir Kunststoffe aufgrund ihrer Vielseitigkeit in fast allen Bereichen verwenden, ist es schwierig, sie durch andere Materialien zu ersetzen.»

Ein anderes Beispiel: «Kunststofffolien für den Postversand von Zeitschriften haben im Allgemeinen eine bessere Ökobilanz als Papierumschläge», berichtet das Bundesamt für Umwelt (BAFU) auf seiner Website. Betrachtet man ausschliesslich die Treibhausgasemissionen, so ist Kunststoff also manchmal die bessere Wahl im Vergleich mit den anderen Optionen.

Die Kehrseite der Medaille: «Kunststoff hat zwar viele Vorteile, aber auch enorme Nachteile», sagt Kokou Agbo-Bloua. «Insbesondere seine verheerenden Auswirkungen auf die Artenvielfalt.» Die Umweltverschmutzung durch Kunststoffe ist in der Tat das Hauptproblem bei diesem Material. Der OECD zufolge wurden 2019 weltweit 353 Millionen Tonnen Kunststoffmüll produziert. Von dieser Riesenmenge sind nur 32 Millionen Tonnen (9 Prozent) recycelt worden. Und der Rest? 19 Prozent wurden verbrannt, 50 Prozent auf Deponien entsorgt und 22 Prozent – oder 77 Millionen Tonnen – in die Umwelt abgegeben. Selbst die Schweiz mit ihrer geradezu legendären Sauberkeit bleibt nicht von diesem Problem verschont: Dem BAFU zufolge gelangen hierzulande jedes Jahr 14’000 Tonnen Kunststoff in die Umwelt. Aufgrund der langen Lebensdauer von Plastik – sie beträgt manchmal mehrere Hundert Jahre – hat dies katastrophale Folgen für die Artenvielfalt und wahrscheinlich auch für unsere Gesundheit. Und das Schlimmste steht vielleicht noch bevor. Wenn nichts unternommen wird, könnte sich die Menge des Kunststoffmülls nach Angaben der OECD bis 2060 verdreifachen, entsprechend dem Anstieg der Produktion. 

Zum Glück ändern sich die Dinge allmählich. «Auch wenn die weltweite Kunststofferzeugung weiter steigt, bewegen wir uns in die richtige Richtung», betont Clément Maclou von ODDO BHF. «Es gibt ein echtes Verbraucherbewusstsein. Und immer mehr Länder führen Vorschriften ein, um die Verwendung von Kunststoffen zu reduzieren. Europa, das während der Pandemie seinen Green Deal verabschiedet hat, übernimmt in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle.» 

 

«Zahlreiche kleine, extrem innovative Unternehmen gehen das Thema Kunststoff an und bieten praktikable, nachhaltige Lösungen»

Tzoulianna Leventi, Analystin bei Abrdn

 

Da Anlegerinteressen bei diesem Thema ebenfalls berücksichtigt werden sollen, konzentriert sich das Dossier dieser Ausgabe auf kleine, innovative Unternehmen, die sich intensiv mit dem Kunststoffproblem auseinandersetzen. Gute Investitionen? «Die Verabschiedung von Vorschriften, mit denen die Verwendung von Kunststoffen eingeschränkt werden sollen, und der gesellschaftliche Druck werden Unternehmen begünstigen, die Lösungen in diesem Bereich anzubieten haben. Zum Beispiel Lösungen, die die Verwendung von Kunststoff verringern helfen, seine Wiederverwendung fördern oder das Recycling verbessern», antwortet Clément Maclou. 

Dieser Ansicht ist auch Tzoulianna Leventi: «Die gute Nachricht ist, dass zahlreiche kleine, extrem innovative Unternehmen das Kunststoffthema angehen und praktikable, nachhaltige Lösungen anbieten», freut sich die Analystin von Abrdn. «Einige finden neue Verwendungsmöglichkeiten für traditionelle, jahrhundertealte Materialien wie Kork und Kiefernharz. Andere brauen im Labor nachhaltige, teilweise sogar biologisch abbaubare Produkte zusammen, um die Werkstoffe auf Basis von Erdöl zu ersetzen, von dem wir so abhängig sind.» Viele dieser Unternehmen befinden sich noch in einem frühen Stadium ihrer Entwicklung und stellen daher eine riskante Investition dar. Doch das Beste kommt vielleicht erst noch, wie Tzoulianna Leventi andeutet: «Da die Nachfrage nach diesen nachhaltigen Produkten steigt, könnten diese Unternehmen in Zukunft vielversprechende Wachstumsmöglichkeiten haben.»

Was sind Kunststoffe?

Der Begriff Kunststoff bezieht sich auf eine Reihe von synthetischen Werkstoffen, die durch Polymerisation gebildet werden, das heisst durch eine Reihe von chemischen Reaktionen mit organischen (kohlenstoffhaltigen) Ausgangsstoffen. 90 Prozent der Kunststoffe werden heutzutage aus Kohlenwasserstoffen hergestellt. Aber man kann sie auch aus anderen Materialien, insbesondere aus Pflanzen, gewinnen.

Die Eigenschaften von Kunststoffen unterscheiden sich je nach Art der Polymerisation. Sie können beispielsweise hart oder weich, opak oder transparent, flexibel oder steif sein. Die meisten Kunststoffe wurden zwischen 1850 und 1950 erfunden. Seitdem hat man ihre Eigenschaften durch chemische Zusätze wie Weichmacher, Flammschutzmittel oder Farbstoffe verbessert, um sie flexibler, widerstandsfähiger oder schwerer entflammbar zu machen.

Die ersten Kunststoffe erreichten nur einen begrenzten Markt, aber nach dem Zweiten Weltkrieg ging es für die Branche richtig aufwärts. In den 1960er-Jahren trug das positive Image der Kunststoffe zu ihrem Aufschwung bei. Allmählich verdrängten sie andere Werkstoffe, bis sie fast überall zu finden waren. Ein Wendepunkt kam 1978, als Coca-Cola seine ikonische Glasflasche durch ein PET-Behältnis ersetzte. Das Zeitalter der Einwegprodukte wurde eingeläutet.