«80 Prozent unserer Werbekunden nutzen KI-unterstützte Lösungen»

Yves Mäder ist Spezialist für künstliche Intelligenz (KI) im Online-Marketing bei Google Schweiz. Er unterstützt grosse Werbekunden beim effizienten Einsatz von KI für Werbekampagnen. Wir haben mit ihm über die künftige Entwicklung gesprochen.

Bertrand Beauté

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Im zweiten Quartal 2024 erzielte der Google-Mutterkonzern Alphabet einen Umsatz von 85 Mrd. Dollar. Davon entfielen rund 80 Prozent (66 Mrd. Dollar) auf das Werbegeschäft. Mit diesen Zahlen ist das Unternehmen aus Mountain View vor Meta und Amazon der weltweit führende Anbieter von Online-Werbung. Um seinen Spitzenplatz zu behaupten, integriert Google zunehmend KI in seine Werbeprodukte. Yves Mäder, Industry Leader Retail & Agency bei Google Schweiz, hat in einer Videokonferenz mit «Swissquote Magazine» erklärt, was das bedeutet.

Generative KI ist heute in aller Munde. Wird sie den Werbemarkt wirklich revolutionieren?

Dieses Jahr markiert einen echten Wendepunkt. Als Open AI im November 2022 ChatGPT auf den Markt brachte, wurde künstliche Intelligenz einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Im Jahr 2023 wollten alle wissen, was KI eigentlich ist. Heute fragen sich alle, wie sie KI für sich einsetzen können. Mit anderen Worten: Man hat begonnen, die Möglichkeiten dieser Technologie zu nutzen.

 als die nächste grosse Welle, vergleichbar mit der Erfindung des Internets oder dem Wechsel zu mobilen Geräten. Die Technologie wird die Werbebranche in den nächsten Jahren massgeblich beeinflusse

Dieser Trend ist in allen Branchen zu beobachten, am stärksten jedoch im Marketing. In ihrem im Mai 2024 veröffentlichten Bericht «The state of AI in early 2024» konstatiert die Unternehmensberatung McKinsey, dass KI am stärksten von Marketing- und Vertriebsabteilungen der Unternehmen in die tägliche Arbeit integriert wurde. Ich sehe KIn.

Interessant ist, dass für uns bei Google KI gar nicht neu ist. Bereits 2016 erklärte unser CEO Sundar Pichai, dass Google eine «AI-first-Company» sei, KI also an oberster Stelle stehe. Das Ergebnis: Bereits heute nutzen 80 Prozent der Werbekunden auf irgendeine Weise KI-unterstützte Produkte, wenn sie Werbung über Google schalten. Und dieser Trend wird sich fortsetzen, da wir regelmässig neue Werkzeuge auf den Markt bringen, die den Werbetreibenden helfen, ihre Werbekampagnen zu optimieren.

Besteht nicht die Gefahr, dass KI die menschliche Kreativität ersetzt, die lange Zeit die Domäne von Werbeagenturen wie Publicis und WPP war?

Nein, ganz im Gegenteil. Zwar ermöglicht es KI heute, Werbeinhalte automatisch zu generieren. Sie wird aber nicht die menschliche Kreativität ersetzen, die nach wie vor das wichtigste Element einer Werbekampagne ist. Vielmehr wird KI die Kreativen in einer Welt unterstützen, die viel komplexer geworden ist. Unternehmen mussten früher im Rahmen von Werbekampagnen eine Anzeige für Printmedien und ein Video für das Fernsehen produzieren. Heute gibt es mit den verschiedenen sozialen Netzwerken und anderen Plattformen eine Vielzahl von Werbanäleekn. Allein Google hat mehrere Dienste mit mehr als einer Milliarde aktiver Nutzer pro Monat, über die Google-Suchmaschine, YouTube, Gmail oder Google Maps. Für Werbetreibende ist es daher schwierig, die richtige Anzeige im richtigen Format zur richtigen Zeit zu platzieren. Künstliche Intelligenz kann helfen, dieses Problem zu lösen, indem sie jede Werbung sofort an die jeweilige Plattform anpasst und automatisch das beste Format und den besten Zeitpunkt auswählt.

 

«KI ist die nächste grosse Welle, vergleichbar mit der Erfindung des Internets oder dem Wechsel zu mobilen Geräten»

 

KI soll auch Kampagnen hochgradig personalisieren...

Ich erinnere mich noch an meine Zeit bei Ricardo, als wir Kunde von Google Ads waren, der Werbeplattform von Google. Für unsere Werbekampagnen mussten wir Schlüsselwörter wie «Tennis» kaufen, wenn wir Schuhe verkaufen wollten, die für diesen Sport geeignet waren. Dabei bestand die Möglichkeit, bestimmte Kategorien anzusprechen, zum Beispiel Männer zwischen 35 und 45 Jahren. Für die Ermittlung des ROI war entscheidend, wie viel pro Keyword bezahlt werden musste (Kosten pro Klick pro Keyword). Heute revolutioniert die KI das Targeting. Sie geben an, was Sie verkaufen möchten, zum Beispiel Tennisschuhe, und die KI bestimmt automatisch, wie Sie dies am gewinnbringendsten tun können, indem sie Ihre Werbung an die richtigen Personen richtet. 

Können Sie konkrete Beispiele nennen, wie Ihre Kunden KI einsetzen?

In der Telekommunikationsbranche hat Sunrise unser Produkt «Enhanced Conversions» eingesetzt. Das System wird mit Daten gefüttert, um sicherzustellen, dass KI-unterstützte Kampagnen optimal funktionieren. Durch die Implementierung konnte Sunrise die Konversionsrate bei Suchanfragen um 8,2 Prozent und von tCPA-Kampagnen (target cost per acquisition) um 3,5 Prozent im Vergleich zu herkömmlichen Kampagnen steigern. Diese Zahlen mögen auf den ersten Blick nicht besonders hoch erscheinen. Für Sunrise hat dies jedoch einen sehr signifikanten Effekt, der alle zukünftigen Kampagnen verbessern wird.

Der Einsatz von KI in der Werbebranche wirft viele ethische Fragen auf. Wie steht Google dazu?

Alle grossen Veränderungen bergen Risiken. Künstliche Intelligenz ist da keine Ausnahme. In den letzten Monaten haben wir beispielsweise gesehen, dass generative KI falsche und problematische Antworten geben kann. Sie kann auch zur Generierung von Werbung eingesetzt werden. Wir bei Google sind uns bewusst, dass dies eine grosse Herausforderung ist, die wir so gut wie möglich bewältigen müssen. Aber KI ist eine neue Technologie. Wir experimentieren und manchmal, das muss man zugeben, machen wir Fehler, auch bei Google. Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass alle transparent kommunizieren und Fehler eingestehen, wenn sie passieren. Deshalb hat Google bereits 2018 ethische Grundsätze für KI, die Google AI Principles, veröffentlicht, in denen unser transparenter Umgang mit KI detailliert beschrieben wird. Dies ist jedoch ein laufender Prozess, der sich mit den neuen Möglichkeiten der KI rasch weiterentwickelt.