Recycling: Sackgasse oder Königsweg?

Weltweit werden heute nicht einmal 10 Prozent der Kunststoffe recycelt. Um diese Quote zu erhöhen, müssen noch viele Hindernisse aus dem Weg geräumt werden.

Bertrand Beauté

Ist das Recyceln von Kunststoffen eine zukunftsweisende Lösung oder lediglich eine Illusion? Bei dieser Frage gehen die Meinungen zwischen Befürwortern (Kunststoff- und Verpackungsindustrie) und Gegnern (meist Nichtregierungsorganisationen aus dem Umweltbereich) weit auseinander. In einem Bericht vom vergangenen Oktober hat Greenpeace USA das Recycling von Kunststoffen als «Sackgasse» bezeichnet, als von den Industrieunternehmen geförderte «Fiktion», um das Geschäft am Laufen zu halten. 

Am anderen Ende des Spektrums ist beispielsweise der Berufsverband Plastics Europe der Ansicht, dass Kunststoffe «Materialien von wesentlicher Bedeutung» sind. Man solle «auf die Innovation und die Technologie setzen, um ihre Wiederverwendung und ihr Recycling umfassend zu steigern, indem beispielsweise besser recyclingfähige Produkte und innovativere Recyclingtechniken entwickelt werden».

 

«Recycling ist ein Teil der Lösung, es bewirkt allerdings keine Wunder»

Kokou Agbo-Bloua, Global Head of Macro Research bei der Société Générale

 

Wie sieht es aber wirklich aus? Lässt sich mit der Weiterentwicklung des Recyclings wirklich das Problem des Kunststoffabfalls lösen? «Das Recycling ist ein Teil der Lösung, es bewirkt allerdings keine Wunder», sagt Kokou Agbo-Bloua, Global Head of Macro Research bei der Société Générale. Einerseits hat es sich in den vergangenen Jahren rasch weiterentwickelt. «Der Anteil an recyceltem Kunststoff im Vergleich zu seinem weltweiten Verbrauch ist von 2 Prozent im Jahr 2016 auf aktuell 10 Prozent angestiegen. Gemessen an den zu behandelnden Mengen stellt dies für diesen Markt ein rasantes Wachstum dar», unterstreicht Clément Maclou, Portfoliomanager bei ODDO BHF.

Dieser Prozentsatz dürfte in den kommenden Jahren noch weiter steigen – was an der zunehmenden Nachfrage der Verbraucher nach nachhaltigen Produkten und an der Verabschiedung entsprechender Gesetze liegt. Seit dem 1. Januar 2021 hat die Europäische Union beispielsweise eine «Plastiksteuer» eingeführt. In der Praxis bedeutet dies, dass die reichsten Staaten der Union nun eine Strafgebühr in Höhe von 80 Cent für jedes Kilogramm Verpackungsmüll aus Kunststoff begleichen müssen, das nicht recycelt wird. Man denke nur an Joghurtbecher und Wasserflaschen. Mit dieser Massnahme soll die Recyclingquote in der EU bis 2030 auf 55 Prozent gesteigert werden. 

Auch die wichtigsten Abnehmer von Kunststoffen ziehen die Nachfrage nach oben. «Unternehmen wie beispielsweise Coca-Cola oder Evian wollen recycelten Kunststoff kaufen, um ihr Image bei den Verbrauchern aufzupolieren», stellt Clément Maclou fest. «Mit dem wachsenden Bewusstsein der Verbraucher, der Einführung von Anreizregelungen und dem Willen der Konsumgüterhersteller, ihren Ruf zu verbessern, werden hier derzeit die Weichen neu gestellt.» Wie sich zeigt, müssen in puncto Recycling allerdings noch mehrere Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. 

1. Zu wenig Kapazitäten 

Die Herstellung von neuem Kunststoff läuft auf derart vollen Touren, dass man mit dem Aufbereiten und Wiederverwerten des Materials nicht mehr hinterherkommt. «Aktuell sind die Recyclingkapazitäten im Vergleich zu den Mengen, die bewältigt werden müssen, noch immer zu gering», bestätigt Paul de Froment, Equity Research, Cleantech & Energy transition bei Bryan, Garnier & Co. Die Folge: Immer mehr Kunststoff wird verbrannt, auf Deponien vergraben oder einfach in der Natur entsorgt. Dieses Phänomen hat sich noch verstärkt, seit China, lange Zeit der grösste Recycler der Welt, 2018 seine Grenzen für ausländischen Plastikmüll geschlossen hat. Laut Greenpeace USA ist die Recyclingquote in den Vereinigten Staaten dadurch bis 2021 auf etwa 5 bis 6 Prozent gesunken, von 9,5 Prozent im Jahr 2014 beziehungsweise 8,7 Prozent im Jahr 2018 – zu einer Zeit, als die Amerikaner jedes Jahr Millionen Tonnen Plastikmüll ins Reich der Mitte exportierten und als recycelt verbuchten. 

Anstatt ausreichende Kapazitäten im eigenen Land aufzubauen, setzen die westlichen Staaten lieber auf neue Abnehmer für ihre Kunststoffabfälle. Dazu zählen vor allem Vietnam, Malaysia und Kenia, aber auch die Türkei, die grosse Plastikmengen aus den europäischen Ländern aufbereitet. Dieses Phänomen bringt die NRO zur Verzweiflung. «Industrieländer wie die USA und Kanada exportieren schon seit viel zu langer Zeit ihre Kunststoff- und auch ihre Sonderabfälle in asiatische Länder und geben an, dass sie dort recycelt würden. Die meisten dieser kontaminierten Abfälle können allerdings nicht recycelt werden und werden stattdessen weggeworfen oder verbrannt oder finden sich in den Tiefen des Meeres wieder», beklagte 2020 Sara Brosché, wissenschaftliche Beraterin des International Pollutants Elimination Network (Ipen).

Um dies zu ändern, hat die Europäische Union ihre Vorschriften verschärft. Seit dem 1. Januar 2021 dürfen EU-Mitglieder nicht getrennte oder gefährliche Kunststoffabfälle nicht mehr in Länder ausserhalb der OECD exportieren. Das hat zur Folge, dass die Recyclingkapazitäten in Europa stetig erhöht werden müssen – die grossen Abfallentsorgungs- und Recyclingunternehmen wie Suez und Veolia reiben sich die Hände.

2. Nicht alle Kunststoffe können recycelt werden

«Unternehmen wie Coca-Cola, PepsiCo, Nestlé und Unilever arbeiten seit Jahrzehnten mit Interessengruppen zusammen, um das Recycling von Kunststoffen zur Bewältigung des Abfallproblems zu fördern», erklärt Lisa Ramsden, Verantwortliche der Kunststoffkampagne von Greenpeace USA, in einem von der Nichtregierungsorganisation veröffentlichten Bericht. «Dabei sind die Daten eindeutig: In der Praxis kann der Grossteil der Kunststoffe ganz einfach nicht recycelt werden.»

Warum? Für bestimmte Kunststoffe gibt es bisher schlicht kein Recyclingverfahren. Für andere wiederum ist das Recyceln äusserst kostspielig, was eine Aufbereitung in industriellem Massstab verhindert. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) bringt es auf seiner Website so auf den Punkt: «Nicht für alle diese Kunststoffe in der Sammlung gibt es ein Verfahren für die stoffliche Verwertung, lohnt sich das Recycling aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen und/oder existiert ein sinnvoller Absatzmarkt.» So kommt es, dass in der Praxis nur wenige Kunststoffe wie PET, Polyethylen hoher und niedriger Dichte (PEHD und PELD) oder PVC tatsächlich recycelt werden. Von den 780’000 Tonnen an Kunststoffabfall, die jedes Jahr in der Schweiz anfallen, werden so 80 Prozent (rund 650’000 Tonnen) mit dem Hausmüll verbrannt und 6 Prozent in Zementwerken. Letztendlich werden nur 80’000 Tonnen (10 Prozent) recycelt. Und diese auch nicht vollständig. «Im Gegensatz zu Glas, das man unendlich oft wiederverwerten kann, lässt sich Kunststoff nur sechs- bis siebenmal mechanisch recyceln», betont Pieter Busscher von Robeco. «Darüber hinaus, werden die Eigenschaften des Kunststoffs verändert.» 

3. Das Problem mit der Abfalltrennung

Die verschiedenen Kunststoffe können nicht gemeinsam behandelt werden. Aus diesem Grund gibt es beispielsweise in der Schweiz einen Bereich für die Sammlung von PET-Flaschen und einen anderen für Behälter aus Polyethylen, zum Beispiel Milch- und Shampooflaschen. «Zur Steigerung der Recyclingquote müssen die Sammlungssysteme optimiert werden», unterstreicht Tzoulianna Leventi, Analystin bei der Investmentgesellschaft Abrdn. Das Problem? Es gibt so viele verschiedene Kunststoffabfälle, dass es extrem schwierig erscheint, diese alle getrennt einzusammeln. «Es ist unmöglich, Billionen Produkte zu trennen», fasst Greenpeace die Situation in seinem Bericht zusammen. Vor allem, da in zahlreichen Gegenständen gleich mehrere Arten von Kunststoff zu finden sind. Sie können deswegen nicht recycelt werden. «Produkte, die mehrere Kunststoffschichten übereinander enthalten, sind wirklich die schwierigsten, wenn es um das Recycling geht», erklärt Pieter Busscher von Robeco. 

Und das Aufkommen der Biokunststoffe macht die Sache noch komplizierter. Ein Paradebeispiel ist Polyethylenfuranoat (PEF). Dieses sehr vielversprechende Polymer wird aus pflanzlichen Stoffen hergestellt. Es könnte eines Tages die PET-Flaschen ersetzen. Das Problem: PEF und PET können nicht gemeinsam recycelt werden. Sollten die entsprechenden Behälter also getrennt gesammelt werden? Das wäre auch nicht so einfach: PEF- und PET-Flaschen kann man auf den ersten Blick kaum auseinanderhalten.

4. Zusatzstoffe kontaminieren die Verpackungen

Kunststoffe werden mit chemischen Zusatzstoffen versetzt, die ihre Eigenschaften optimieren. Hierzu zählen insbesondere Antioxidantien, Antistatika, Flammschutzmittel, Weichmacher oder Pigmente. 2019 hat die Europäische Chemikalienagentur (Echa) insgesamt 400 Zusatzstoffe aufgelistet, die in der Kunststoffbranche am häufigsten verwendet werden. Es soll jedoch noch weitaus mehr geben. Das Problem? Bei der Wiederaufbereitung werden die Zusatzstoffe nicht entfernt. Recycelte Kunststoffe enthalten also eine Mischung chemischer Moleküle, deren Eigenschaften nicht bekannt sind. «Es besteht der Verdacht, dass diese chemischen Verbindungen Gesundheitsprobleme verursachen», so Kokou Agbo-Bloua von der Société Générale. «Aus diesem Grund dürfen recycelte Kunststoffe nicht in Lebensmittelverpackungen verwendet werden, mit Ausnahme von PET- Flaschen.»

Zur Lösung für dieses Problem arbeiten die Hersteller daran, die Recyclingtechniken zu verbessern. Momentan wird meist ein mechanisches Verfahren angewendet. Dabei werden die Abfälle nach Kunststoffart, Farbe und Qualität getrennt, anschliessend gewaschen, zerkleinert und zu Flocken geschmolzen. Daraus entsteht dann ein Harz, das wiederum zur Herstellung anderer, neuer Gegenstände dient. Diese Methode ist zwar relativ einfach, birgt jedoch zwei wesentliche Probleme: Die Qualität der Polymere nimmt mit jedem Recyclingzyklus immer mehr ab, und die chemischen Zusatzstoffe können so nicht entfernt werden. 

Die zweite Methode ist das chemische Recycling. Hierbei werden verschiedene Technologien eingesetzt, um die Kunststoffabfälle unter grosser Hitze oder mittels einer chemischen Reaktion in fabrikneue Materialien umzuwandeln. Die Unternehmen Loop Industries (Quebec) und Eastman (USA) spielen bei der chemischen Behandlung von Kunststoffen eine Vorreiterrolle. «Rein theoretisch erhält man mit dem chemischen Recycling, das aktuell gerade einmal 1 Prozent des Marktes ausmacht, sauberere Kunststoffe als mit der mechanischen Methode», erklärt Paul de Froment. «In der Praxis ist diese Technologie allerdings noch nicht ausgereift genug. Sie ist sehr kostspielig, schwierig umzusetzen und energieintensiv. Zudem werden Lösungsmittel eingesetzt, die die Umwelt verschmutzen können.» Im Jahr 2022 hat die amerikanische NGO Natural Resources Defense Council (NRDC) acht Werke für chemisches Recycling untersucht. Ergebnis: «Diese Werke versagen nicht nur beim effizienten und sicheren Recycling der Kunststoffabfälle, sondern geben auch noch Schadstoffe in die Umwelt ab», erklärt die Hauptautorin dieses Berichts, Veena Singla.

Für Paul de Froment könnte die Lösung in einem dritten Weg bestehen: Der Analyst von Bryan, Garnier & Co verweist auf das enzymatische Recycling – ein Verfahren, das aktuell noch in der Entwicklung ist und doch schon zu den wichtigsten Innovationen im Kunststoffbereich gerechnet wird. «Diese Technologie dürfte es ermöglichen, Kunststoffe unbegrenzt mittels Enzymen zu recyceln. Die Polymere werden bei diesem Vorgang in Monomere zersetzt, aus denen dann fabrikneuer Kunststoff hergestellt wird.» Nach Ansicht von de Froment handelt es sich um die «vielversprechendste Recyclingtechnologie der Zukunft». Vorreiter auf diesem Gebiet ist das französische Biochemie-Unternehmen Carbios. Die Firma hat Partnerschaften mit bekannten Markenherstellern wie L’Oréal, Patagonia oder Tommy Hilfiger abgeschlossen.

5. Die Kostenfrage

PET-Recycling ist nur ein Teil des Problems, wie Clément Maclou von ODDO BHF erläutert: «Der Markt für recyceltes PET ist gesättigt, denn alle Grossunternehmen wollen dieses Material verwenden, um ihr Image aufzupolieren.» 

Bei anderen recycelten Kunststoffen ist die Nachfrage jedoch gering, vor allem wegen der hohen Kosten. «Recycelter Kunststoff ist nach wie vor teurer als fabrikneuer», bestätigt Kokou Agbo-Bloua, Global Head of Macro Research bei der Société Générale. Unternehmen, die ihn verwendeten, hätten somit einen Wettbewerbsnachteil gegenüber ihren Konkurrenten. Eine schwierige wirtschaftliche Herausforderung, wie Vincent Warnery, CEO des deutschen Konsumgüterkonzerns Beiersdorf, in einem Interview mit der französischen Finanzzeitung «Les Echos» am 30. März erklärte: «Jeder will nachhaltigere Produkte, aber niemand will dafür mehr bezahlen. Man muss aufpassen, denn die Krise der Bioprodukte beweist, dass der Verbraucher auf seine Kaufkraft achtet.» Recycelter Kunststoff zum Beispiel koste mehr, betont auch Warnery. «Bei unseren Duschgels der Marke Nivea sind wir auf recycelten Kunststoff umgestiegen, aber wir mussten unseren Verbrauch um 25 Prozent senken, indem wir dünnere Verpackungen verwendet haben.»