Wie «bio» sind Biokunststoffe?
Oft werden Biopolymere als umweltfreundliche Alternative zu konventionellen Kunststoffen präsentiert. Sie sind jedoch nicht immer so unbedenklich, wie man annehmen könnte.
Bertrand Beauté
Bio – drei Buchstaben, die das Versprechen eines nachhaltigen, umweltfreundlichen Produkts suggerieren. So haben Biokunststoffe in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen: Sie ersetzen dünne Plastiktüten (die seit 2016 in der EU verboten, in der Schweiz aber noch erlaubt sind) und bieten eine gewissensberuhigende Alternative für bestimmte Verpackungen und Alltagsgegenstände wie Strohhalme, Trinkflaschen, Spielzeug, Stifte oder auch Brillengestelle.
Laut Plastics Europe machen Biokunststoffe mittlerweile 1,5 Prozent der weltweiten Kunststoffproduktion aus. Ein noch bescheidener Anteil, der aber stetig wächst. Die weltweite Herstellungskapazität ist von 1,792 Millionen Tonnen im Jahr 2021 auf 2,217 Millionen Tonnen im Jahr 2022 gestiegen und hat damit innerhalb eines Jahres um fast 25 Prozent zugelegt. Und das ist noch nicht alles. European Bioplastics, der europäische Dachverband der Branche, rechnet damit, dass das Angebot sich in den nächsten Jahren verdreifachen und bis 2027 auf 6,291 Millionen Tonnen ansteigen wird. Im vergangenen Jahr gingen 48 Prozent der abgesetzten Biokunststoffe – insgesamt eine Million Tonnen auch andere Anwendungsbereiche an Bedeutung, so etwa der Automobil- und Transportsektor, die Landwirtschaft sowie die Elektro- und Elektronikindustrie.
Der Ölkonzern Total möchte einer der Marktführer für Biokunststoffe werden
Die stark wachsende Nachfrage zieht eine Vielzahl kleiner innovativer Firmen wie Origin Materials aus den USA oder die beiden niederländischen Unternehmen Advantium und Corbion, aber auch Grosskonzerne an. Der Ölmulti Total etwa möchte nach eigenen Angaben «einer der Marktführer für Biokunststoffe» werden. So hat das Unternehmen 2019 in der thailändischen Stadt Rayong gemeinsam mit Corbion ein Werk eröffnet, das 75’000 Tonnen Biokunststoff pro Jahr produzieren kann. Aber sind Biokunststoffe wirklich so «bio», wie ihr Name vorgibt? Die Antwort ist komplexer, als es den Anschein hat. Zwar reduzieren diese Materialien manche Gewissensbisse und Schuldgefühle, aber sie haben nicht immer die positiven Eigenschaften, die man ihnen gerne zuschreibt. «Zunächst muss man definieren, was man unter Biokunststoffen überhaupt versteht», sagt Pieter Busscher von Robeco. «Denn der Begriff umfasst zwei verschiedene Arten von Materialien: Einerseits Kunststoffe biologischen Ursprungs und andererseits Kunststoffe fossilen Ursprungs, die jedoch biologisch abbau- oder kompostierbar sind.»
Räumen wir zunächst mit einem weit verbreiteten Missverständnis auf: Die Tatsache, dass ein Kunststoff pflanzlichen Ursprungs ist, bedeutet nicht, dass er auch biologisch abbaubar oder kompostierbar ist. Einige sind es, andere nicht. So hat beispielsweise Coca-Cola im Oktober 2021 seine PlantBottle vorgestellt – den Protoyp einer PET-Flasche, die zu 100 Prozent aus Pflanzenmaterial – Maisstärke und Holzabfällen – hergestellt wird. Sollte die Flasche eines Tages auf den Markt kommen, hätte sie den Vorteil, dass sie aus nachwachsenden Rohstoffen besteht und im Vergleich zu PET fossilen Ursprungs wahrscheinlich die Treibhausgasemissionen reduzieren würde. Aber die pflanzliche Herkunft dieser Flasche ändert nichts an ihrem Lebensende, denn chemisch gesehen besitzt pflanzenbasiertes PET die gleiche Struktur wie PET fossilen Ursprungs. Es könnte also recycelt werden. Aber wenn es in die Natur gelangt, wird es mehrere Hundert Jahre in der Umwelt verbleiben, bevor es sich zersetzt. Umgekehrt sind alle Biokunststoffe fossilen Ursprungs biologisch abbaubar oder kompostierbar. Aber sie haben den Nachteil, dass für ihre Herstellung Erdöl erforderlich ist und dass sie somit zur Klimaerwärmung beitragen. Verschiedenen Schätzungen zufolge verschlingt die Kunststoffproduktion 4 bis 8 Prozent des jährlichen Erdölverbrauchs.
Laut European Bioplastics waren 48,5 Prozent aller 2022 produzierten Biokunststoffe nicht biologisch abbaubar. «Das sind erst die ersten Generationen pflanzenbasierter Kunststoffe», so Pieter Busscher weiter. «Die meisten haben die gleichen Eigenschaften wie Kunststoffe aus fossilen Ressourcen. Aber die Materialien der zweiten Generation werden wahrschein lich alle biologisch abbaubar oder kompostierbar sein.»
Es könnte sich noch ein anderes Problem stellen: Denn wie wir es auch von Biokraftstoffen kennen, könnte die Herstellung von Biokunststoffen ebenfalls mit der Produktion von Lebensmitteln konkurrieren. European Bioplastics zufolge werden derzeit nur 0,8 Millionen Hektar für die Biokunststoffproduktion genutzt, das sind 0,015 Prozent der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzflächen. Aber mit dem Ausbau des Sektors könnte diese Zahl schnell anwachsen. Nehmen wir als Beispiel den Biokunststoff PLA: Um eine Tonne davon zu produzieren, sind laut Plastikatlas 2,39 Tonnen Mais, 0,37 Hektar Land und 2’921 Kubikmeter Wasser erforderlich.
«Es ist gefährlich anzunehmen, dass Biokunststoffe die perfekte Lösung darstellen», warnt Kokou Agbo-Bloua, Global Head of Macro Research. Alle Experten sind sich einig, dass es darauf an-kommt, das richtige Material am richtigen Ort einzusetzen. «Die Herkunft von Kunststoffen wird oft als Argument genutzt, Verbraucherentscheidungen zu beeinflussen, aber man muss sich bewusst sein, dass pflanzliche und/oder biologisch abbaubare Kunststoffe nicht unbedingt weniger umweltschädlich sind», betont Clément Maclou, Portfoliomanager bei ODDO BHF. «Wichtig ist, dass die Klassifikation und Recyclingketten für Altkunststoffe weiter ausgebaut werden, um sicherzustellen, dass recycelbare und/oder biologisch abbaubare Kunststoffe nicht auf denselben Deponien landen wie nicht recycelbare. Andernfalls ergibt es wenig Sinn, in biologisch abbaubare Kunststoffe zu investieren.»