Antidiabetika für die schlanke Linie

Eine neue Medikamentenklasse zur Behandlung von Typ-2-Diabetes lässt ganz nebenbei auch die Pfunde schwinden.

Bertrand Beauté

Typ-2-Diabetes ist eine Krankheit, die in der Regel immer weiter fortschreitet. «Im Frühstadium sind die Symptome unauffällig oder überhaupt nicht erkennbar. Daher gibt es viele Menschen, die gar nicht wissen, dass sie Diabetiker sind», unterstreicht Doktor Karim Gariani vom Universitätsspital Genf. Man gehe davon aus, so der Mediziner, dass in der Schweiz 30 Prozent der Typ-2-Diabetiker zu dieser Gruppe gehörten. Das Problem ist, dass Diabetes zu verschiedenen Komplikationen wie Sehstörungen, Nierenversagen oder Herz-Kreislauf-Problemen führen kann. Je später jedoch der Typ-2-Diabetes diagnostiziert wird, desto schwerer sind die Komplikationen und desto aufwendiger auch die Behandlungen.

«Heute wird empfohlen, sich ab 35 Jahren regelmässig auf Diabetes testen zu lassen. Eine einfache Blutabnahme reicht aus!», betont Karim Gariani. «Wenn die Diagnose früh genug gestellt wird, besteht die Behandlung in einer ausgewogenen Ernährung, regelmässiger körperlicher Betätigung und eventuell einer Reduzierung des Übergewichts.»

Wenn der Blutzuckerspiegel durch diese Lebensstiländerungen nicht dauerhaft kontrolliert werden kann, verschreibt der Arzt nicht insulinhaltige Antidiabetika (hauptsächlich Metformin und Sulfonylharnstoff). Diese Wirkstoffe liefern kurzfristig hervorragende Ergebnisse bei der Blutzuckerkontrolle. Langfristig allerdings lässt die Wirkung der Behandlung im Allgemeinen nach, das heisst, die Blutzuckerwerte steigen wieder an. Dann wird in der Regel ein weiteres therapeutisches Mittel angewendet. Und genau an diesem Punkt der Therapie tut sich derzeit sehr viel in der Medizin, und zwar mithilfe der sogenannten GLP-1-Analoga (GLP-1 = «Glucagon-like Peptide-1»). 

 

«Die GLP-1 revolutionieren den Diabetessektor»

Pierre Corby, Healthcare Equity Specialist bei der Union Bancaire Privée (UBP)

 

«Die GLP-1 revolutionieren den Diabetessektor», sagt Pierre Corby, Healthcare Equity Specialist bei der Union Bancaire Privée (UBP). Wie andere Antidiabetika auch verbessern die GLP-1 die Kontrolle des Blutzuckers. Aber sie haben eben noch weitere Vorteile: «Diese Wirkstoffklasse wirkt sich nachweislich positiv auf kardiovaskuläre Ereignisse aus. Sie reduziert die kardiovaskuläre Mortalität sowie das Auftreten von Schlaganfällen und Herzinfarkten», erklärt Karim Gariani. «Ausserdem geht die Einnahme bei gewissen Patienten mit einer Gewichtsabnahme einher.» Da Typ-2-Diabetes bei übergewichtigen Menschen häufiger auftritt, macht diese Eigenschaft die GLP-1 zur Behandlung der Wahl. 

Derzeit teilen sich zwei Arzneimittel diesen Markt: Ozempic von Novo Nordisk erzielte im Jahr 2022 einen Umsatz von acht Mrd. Euro, was einem Anstieg um 77 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Der Hauptkonkurrent, das Medikament Trulicity des amerikanischen Pharmakonzerns Eli Lilly, generierte im selben Zeitraum einen Umsatz von 7,4 Mrd. Dollar (+ 15 Prozent).

Die beiden Pharmakonzerne schielen jetzt auf den Medikamentenmarkt zur Bekämpfung von Adipositas, der wesentlich grösser ist als der für Diabetestherapien. 2021 hat die Food and Drug Administration (FDA) das Arzneimittel Wegovy von Novo Nordisk für die Behandlung von Übergewicht und Adipositas zugelassen. Wegovy, der kleine Bruder von Ozempic, enthält genau den gleichen Wirkstoff, das Semaglutid. Es ist lediglich stärker dosiert als bei Ozempic und hat dadurch eine bisher noch nie beobachtete Wirksamkeit: Es führt zu einem mittleren Gewichtsverlust von beinahe 15 Kilogramm in einem Jahr. Eli Lilly hat umgehend reagiert: Sein neuer GLP-1-Rezeptor-Agonist Mounjaro, der im Mai 2022 für die Behandlung von Typ-2-Diabetes zugelassen wurde, dürfte im Laufe des Jahres 2023 von der FDA grünes Licht für die Behandlung von Übergewicht und Adipositas erhalten. Die Anwendung soll angeblich mit einer Gewichtsabnahme von 20 Kilogramm in einem Jahr einhergehen, allerdings auch mit einigen Nebenwirkungen, insbesondere Verdauungsstörungen (Übelkeit, Durchfall und Erbrechen).

«Die GLP-1 führen zum gleichen Ergebnis wie ein Magenbypass – ein chirurgischer Eingriff, bei dem das Magenvolumen verkleinert wird –, sind aber weniger invasiv für den Patienten und günstiger für die Gesundheitssysteme», betont Arelis Agosto, Senior Healthcare Analyst bei Global X ETFs. «Es ist sehr spannend zu sehen, wie diese Medikamente die Behandlung von Adipositas und Diabetes verändern werden.»

 

460,000

Typ-2-Diabetiker gibt es in der Schweiz

 

«Die GLP-1 eröffnen einen völlig neuen Markt. Sie bieten die Aussicht, Prädiabetiker, Diabetiker sowie fettleibige und übergewichtige Menschen zu behandeln», erklärt Pierre Corby, Analyst bei der UBP. «Die optimistischsten Analysten rechnen damit, dass sich der Markt der GLP-1 2030 auf 90 Mrd. Dollar pro Jahr belaufen wird, von denen 50 bis 55 Mrd. Dollar auf die Adipositas-Behandlung entfallen. Investoren verfolgen mit Interesse die Pharmakonzerne, die GLP-1 in ihrem Portfolio haben. Das Wachstum des GLP-1-Markts dürfte mehrere Jahre lang 20 bis 30 Prozent pro Jahr betragen.»

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit 650 Millionen Erwachsene fettleibig und 1,9 Milliarden übergewichtig. Diese Zahlen muss man mit dem Preis dieser neuen Behandlungen korrelieren: In den USA zahlen Typ-2-Diabetiker, die Mounjaro einnehmen, etwa 1’000 Dollar pro Monat, während sich die Rechnung für fettleibige Patienten, denen man Wegovy injiziert, auf 1’350 Dollar pro Monat beläuft. 

Eine Frage bleibt jedoch noch offen: Werden die Gesundheitssysteme diese Medikamente bezahlen? «Die Antwort liegt auf der Hand», meint Pierre Corby. «Denn Adipositas ist so teuer für die Gesellschªft, dass ich denke, dass die Kosten für diese Behandlungen übernommen werden.»