2023: Comeback der Tech-Firmen
Die Aktien von Technologieanbietern sind 2022 spektakulär abgestürzt.
Es ist an der Zeit, diesen Sektor genauer in den Blick zu nehmen.
Ludovic Chappex
Günstig kaufen, teuer verkaufen: Das ist der Traum eines jeden Anlegers und ganz sicher auch jener wagemutigen Analysten, die seit Beginn des Oktobers verkünden, dass die Aktien von Technologieunternehmen 2023 wieder an Boden gewinnen würden. «Bottom zu kaufen ist das Ziel, aber in der Realität passiert das fast nie», sagt Timothy Skiendzielewski, Chief Investment Officer bei abrdn, mit einem Lächeln. Er glaubt ebenfalls, dass sich die Tech-Aktien im nächsten Jahr wieder erholen werden. Die Citigroup gehört zu den ersten Banken, die sich offen in diesem Sinne positioniert haben, wobei sie jedoch darauf hinweist, dass die kommenden Monate alles andere als ruhig und von einer hohen Volatilität geprägt sein werden.
«Die Fundamentaldaten sind sehr positiv. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis der Technologieunternehmen ist auf den niedrigsten Stand seit zehn Jahren gefallen», erklärte uns Anfang November Anthony Ginsberg, CEO von Ginsglobal Index Funds, während wir dabei waren, die vorliegende Ausgabe vorzubereiten. Dazu muss man wissen, dass das Kurs-Gewinn-Verhältnis, auch KGV oder P/E-Ratio für Price-to-Earnings-Ratio, berechnet wird, indem der Aktienkurs eines Unternehmens durch dessen Gewinne dividiert wird. Ein niedriger Wert weist grundsätzlich auf eine günstige Aktie hin.
Seinerzeit also empfahl Ginsberg langfristigen Anlegern, schrittweise in den Tech-Markt einzusteigen, um nicht Gefahr zu laufen, die ersten 10 oder 20 Prozent der kommenden Erholung zu verpassen: «Mit einer Inflation von über 8 Prozent in den USA bleibt die Lage angespannt», stellte er fest. «Ich denke jedoch, dass eine Trendwende eintreten wird, wenn wir uns den 7 Prozent nähern.» Nur einige Tage später, am 9. Novem ber, fiel die US-Inflation tiefer als erwartet (7,7 Prozent), was eine Erholung der Märkte auslöste. Der Index der amerikanischen Technologiewerte Nasdaq-100 hob sich mit einem Anstieg von fast 10 Prozent an nur einem Tag ganz besonders stark ab. Selbstverständlich bietet diese positiv stimmende Erholung keinen Hinweis auf die kurzfristige Kursentwicklung. Die Analysten sind davon überzeugt, dass das wirtschaftliche Umfeld sehr unsicher bleibt. Es wird wahrscheinlich bis zum Ende des ersten Quartals 2023 dauern, bis wieder etwas Gewissheit herrscht. Die Ergebnisse der Unternehmen dürften sich zudem mindestens noch ein Quartal lang weiter verschlechtern, wodurch die Stimmung auf den Märkten potenziell negativ bleiben wird. Vor diesem Hintergrund äusserten in den letzten Wochen nicht wenige Institute und CEOs, dass in den kommenden Monaten auf jeden Fall mit Erschütterungen zu rechnen sei, wobei sich diese Warnungen nicht speziell auf Technologiewerte beziehen. Einige der IT-Riesen haben massiv Personal abgebaut. Meta entliess beispielsweise 11’000 Mitarbeitende, Amazon 10’000.
Wie konnte es so weit kommen? Um das Ausmass dieses Einbruchs verstehen und ermessen zu können, muss man sich in Erinnerung rufen, dass viele Technologieunternehmen aufgrund einer akkommodierenden Geldpolitik (Erhöhung der Staatsausgaben bei gleichzeitiger Geldmengenerhöhung, Anm. d. Red.) stark von der Pandemie profitiert haben. Die Aktien legten 2021 sehr stark zu – wahrscheinlich sogar zu stark. Doch schon im November des gleichen Jahres, als die Zentralbanken erstmals die Anhebung der Leitzinsen ankündigten, begann sich der Wind zu drehen. Im laufenden Jahr fiel der Nasdaq um rund 30 Prozent. Nur wenige Unternehmen sind davon verschont geblieben. Die spekulativsten Tech-Werte haben am stärksten gelitten. Der ETF Ark Innovation der Investmentgesellschaft von Cathie Wood, der als disruptiv geltende Unternehmen zusammenfasst, ist in diesem Jahr um 60 Prozent gefallen. Seit seinem Höchststand im Februar 2021 sogar um mehr als 70 Prozent.
Angesichts einer sich anbahnenden Rezession rechnet derzeit eine Mehrheit der Analysten damit, dass die Zentralbanken ab dem nächsten Jahr allmählich von weiteren Zinserhöhungen absehen werden, da eine niedrigere Inflation erwartet wird: «Wir gehen davon aus, dass sich die Zinsen stabilisieren werden. Die Frage ist nicht, ob das passiert, sondern wann», sagt Brice Prunas, Portfoliomanager bei Oddo BHF AM. Mario Geniale, Chief Investment Officer der Bank CIC, hält eine Senkung der Zinssätze bereits im zweiten Halbjahr 2023 für möglich. «Das erste Quartal wird schwierig bleiben. Wir prognostizieren jedoch für das Jahr eine Outperformance der Tech-Aktien, da ihre Bewertung derzeit niedrig ist und die Technologieunternehmen stärker als der Durchschnitt auf das Absenken der Zinssätze reagieren. Ausserdem weisen viele dieser Unternehmen eine sehr gute Bilanz aus.»
Dieser Meinung ist auch Brice Prunas von Oddo BHF AM: «Ihr aktueller starker Kursverfall hat nichts mit dem der Krise von 2008 noch mit dem Platzen der Internetblase im Jahr 2000 gemein. Momentan sind die Elemente der Krise exogen, und nach unserer Analyse befinden sich viele Technologieunternehmen in einer sehr gesunden Situation. Sie haben liquide Mittel zurückgestellt, und ihr Wirtschaftsmodell ist solide.» Investieren, ja. Aber in welche Unternehmen? Die Experten sehen vor allem zwei Sektoren, die sich mittel-bis langfristig besonders von den anderen abheben werden: die Cloud und die mit ihr einhergehende Cybersicherheit. Sie zögern nicht, von Megatrends zu sprechen. Die Auswahl der Unternehmen in dieser Ausgabe spiegelt dies wider. Verschiedene Analysen zeigen, dass das Wachstum in diesen Bereichen in den nächsten fünf bis zehn Jahren spektakulär ausfallen dürfte. Um nur zwei Beispiele aus dem Durchschnitt der veröffentlichten Zahlen zu nennen: Der Cloud-Markt, der 548,8 Mrd. Dollar im Jahr 2022 ausmachte, wird laut der Agentur Reportlinker möglicherweise bis 2027 auf 1’240,9 Mrd. Dollar zulegen, was einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von knapp 18 Prozent entspricht. Der 2021 auf 162,9 Mrd. Dollar geschätzte Markt der Cybersicherheit könnte nach Angaben von Astute Analytica bis 2027 auf 346 Mrd. Dollar anwachsen – ein Plus von mehr als 13 Prozent.
«IT-Sicherheit ist keine Option, sondern eine absolute Notwendigkeit»
Timothy Skiendzielewski, Chief Investment Officer bei abrdn
«Die cloudbasierte digitale Transformation wird alle Bereiche der Wirtschaft durchdringen», sagt Timothy Skiendzielewski von abrdn. «Und das ist erst der Anfang. Vor diesem Hintergrund ist die Cybersicherheit keine Option, sondern eine absolute Notwendigkeit.» Brice Prunas von Oddo BHF AM stimmt dem zu und ergänzt, dass «Cybersicherheit das Thema Nummer eins aller Unternehmer» sein werde.
Brice Prunas ist vom langfristigen Potenzial der künstlichen Intelligenz (KI) überzeugt. Der Analyst betont, dass sich die Technologie in Bezug auf die wirtschaftlichen Auswirkungen noch in einem frühen Stadium befinde, dass sie aber letztendlich alle Branchen betreffen werde. Er hebt dabei die zunehmende Wichtigkeit der KI im Gesundheitssektor hervor: «Für Pharmaunternehmen sind beispielsweise die Vorteile von KI für die Kosteneinsparung bei der Entwicklung von Medikamenten sehr wichtig. Die Roboterchirurgen, um einen anderen Bereich zu benennen, werden sich auch immer mehr durchsetzen, um die menschliche Fehlerquote zu begrenzen.»
Brice Prunas nennt Nvidia als ein Beispiel für führende Unternehmen in diesem Sektor. Das Unternehmen stellt Mikrochips her, die für diese Technologien unerlässlich sind. Google scheint ihm ebenfalls unumgänglich zu sein. Tesla, das derzeit – vor allem wegen der Unberechenbarkeit seines Chefs Elon Musk – umstritten ist, steht ebenso in seiner Gunst. «KI ist bei Tesla nicht nur auf autonome Autos beschränkt. Sie steht im Zentrum aller Projekte des Unternehmens. So ist auch der humanoide Roboter Optimus eine KI-Entwicklung mit Optimierungspotenzial. Weitere Versionen werden Dialogfunktionen haben, der nächste Schritt ist dann die Interpretation menschlicher Emotionen. Im riesigen Bereich von Pflege und Betreuung ist das Potenzial sehr gross.» Sundar Pichai, CEO von Google, wird dem nicht widersprechen. In einem Interview mit der BBC im letzten Jahr hob er die Bedeutung der künstlichen Intelligenz für die Menschheitsgeschichte hervor und zögerte nicht, KI mit der Entdeckung des Feuers oder der Elektrizität zu vergleichen.
So viel zu den grundlegenden Trends. Kurzfristig präferieren viele Analysten auch Unternehmen, die vom Markt für E-Fahrzeuge profitieren, so wie der Halbleiterproduzent Infineon. Den Experten zufolge wird dieser Sektor im kommenden Jahrzehnt ein enormes Entwicklungspotenzial haben, da die Durchdringungsrate von E-Fahrzeugen noch sehr niedrig ist. Sie liegt aktuell bei ungefähr 5 Prozent. Der Trend dürfte sich jedoch beschleunigen, vor allem, da die Politiker in diese Richtung drängen.