Interview

«Unser Aktiensturz hat mich nicht beunruhigt» 

Logitech-Chef Bracken Darrell, der das Unternehmen seit zehn Jahren leitet, erläutert, welche Richtung das Schweizer Unternehmen in Zukunft einschlagen könnte. 

Ludovic Chappex

Auch ein Schweizer Unternehmen gehört zu unserer Auswahl von ansonsten überwiegend amerikanischen Firmen. Logitech ist zwar kein reines Tech-Unternehmen wie einige der in diesem Dossier vertretenen Akteure aus den Bereichen Cloud- Lösungen oder Cybersicherheit, aber dennoch eng mit diesem Sektor und mit Innovation im Allgemeinen verbunden. Abgesehen davon, dass die Ergebnisse des letzten Quartals die Analysten positiv überrascht haben, überzeugt der Lausanner Spezialist für Computerperipheriegeräte die Märkte auch wegen seiner mittel- und langfristigen Perspektiven. CEO Bracken Darrell, US-Amerikaner, der im Januar sein zehnjähriges Jubiläum an der Firmenspitze feiern wird, hat uns aus seinem kalifornischen Büro ein Interview via Zoom gegeben. Im Gespräch ging es um die aktuelle Krise – doch vor allem um die Zukunft von Logitech. Der CEO hat uns seine langfristige Vision erläutert. 

Die Aktien von Technologieunternehmen hat es 2022 hart getroffen. Logitech blieb davon nicht verschont. Wie haben Sie diese Ereignisse erlebt?

Die Tatsache, dass ich meine Funktion seit zehn Jahren ausübe, hat mir einen enormen Vorteil verschafft: Ich habe gelernt, Ereignisse auf kurze Sicht weder zu enthusiastisch noch mit zu viel Sorge zu bewerten. Darum war ich, ehrlich gesagt, nicht wirklich beunruhigt wegen der Aktienkurse. Ich mache mir vielmehr über die mittel- und langfristige Entwicklung Gedanken. Ich glaube, dass sich der wahre Wert dessen, was man tut, erst im Laufe der Zeit zeigt. So habe ich schon immer funktioniert. Um die Dinge ins rechte Licht zu rücken: Als ich mein Amt als CEO angetreten habe, war die Logitech-Aktie ungefähr sieben Dollar wert. Heute wird sie zu rund 55 Dollar gehandelt.

Wie wird Logitech in fünf oder zehn Jahren aussehen?

Wir werden deutlich stärker auf den B2B-Markt (Business-to-Business, das heisst Verkauf von Produkten an Unternehmen, Anm. d. Red.) ausgerichtet sein. Historisch gesehen ist Logitech ein Unternehmen, das seine Produkte an Verbraucher verkauft, aber das ändert sich, seit wir vor etwa acht Jahren beschlossen haben, uns stärker auf Videokonferenzgeräte zu konzentrieren. In der Folgezeit haben wir uns in diesem Markt stetig weiterentwickelt. Heute beträgt der B2B-Anteil etwa 25 Prozent unseres Umsatzes, und ich gehe davon aus, dass er in den nächsten Jahren auf 50 Prozent ansteigen wird. Immer mehr Menschen, die unsere Produkte besitzen, möchten auch an ihrem Arbeitsplatz die gleiche Benutzererfahrung haben – und umgekehrt. Wir versuchen, diese Art des zirkulären Ansatzes zu fördern.

Ihre Produkte werden regelmässig für ihr Design ausgezeichnet, aber wie steht es bei Logitech um die Innovation? Wird sie nicht durch Kriterien wie Ergonomie, Aussehen oder Benutzererfahrung in den Hintergrund gedrängt?

Forschung und Entwicklung (F&E) bleiben ein Investitionsschwerpunkt für uns. Obwohl wir in den letzten Monaten in vielen Bereichen unsere Kosten gesenkt haben, sind unsere Investitionen ins Engineering gestiegen. Wir verfügen intern wahrscheinlich über das weltweit beste Know-how im Hinblick auf Maussensoren. Und derzeit legen wir auch viel Wert auf die Entwicklung von Technologien im Bereich der künstlichen Intelligenz, insbesondere im Zusammenhang mit Videokonferenzen. Im Oktober haben wir ein neues Produkt angekündigt, das im nächsten Frühjahr auf den Markt kommen soll. Es handelt sich um eine auf künstlicher Intelligenz basierende Kamera, die in der Mitte des Konferenztischs aufgestellt wird und es den Gesprächspartnern in der Ferne ermöglicht, die Gesichter der Redner immer von vorne zu sehen, unabhängig von der Ausrichtung ihres Kopfes, wenn sie im Raum miteinander sprechen. Neben der KI liegt ein weiterer Schwerpunkt auf den verschiedenen Sensoren, die wir in unseren Produkten verwenden, sei es für Mäuse oder für Kameras. Seit Kurzem investieren wir sogar in Sensoren zur Messung der Luftqualität. 

Werden diese Innovationen intern entwickelt oder eher durch die Übernahme anderer Unternehmen?

Beides geht Hand in Hand. Wir haben schon immer sowohl auf unsere eigene F&E als auch auf die Integration bestehender Technologien gesetzt. Oft beginnen wir damit, intern neue Wege auszuloten, und übernehmen dann ein Unternehmen, dessen Technologie nützlich sein kann, um die Entwicklung eines Produkts zu ergänzen oder zu verbessern. Vor fünf Jahren haben wir beispielsweise ein kleines Unternehmen in Zürich gekauft, das sich auf die Personenerkennung mittels Kameras spezialisiert hat (Anm. d. Red.: Logitech gibt den Namen nicht bekannt). Die deutsche Polizei nutzte diese Lösung, um auf Autobahnen Personen zu erkennen, die sich ausserhalb ihres Fahrzeugs befinden, und um Warnungen zu erhalten. Parallel dazu hatten wir bereits, selbst an ähnlichen Technologien gearbeitet, die im Innenbereich in Konferenzräumen zur Anwendung kommen. Wir haben viel in diese Lösungen investiert, und sie sind inzwischen wesentlich ausgereifter geworden. Das System kann genau bestimmen, wer sich im Raum befindet und welche Bewegungen stattfinden.

In Sachen Luftqualität haben wir vor einigen Jahren ein internes Projekt gestartet. Die Tests begannen in der Schweiz und in Taiwan. Wir haben die CO2-Konzentration in Konferenzräumen gemessen. Die Teilnehmer wurden überwacht, und wir haben den Gesprächsverlauf beobachtet. Dabei waren wir erstaunt, festzustellen, wie stark die Effizienz der Besprechungen mit zunehmender CO2-Konzentration abnahm. Daraufhin haben wir begonnen, unser eigenes Produkt zu entwickeln, und haben dann im letzten Jahr die Zürcher Firma Airica übernommen, die Erfahrung in diesem Bereich hatte. Wir investieren immer in unsere eigenen Innovationen, suchen aber auch extern nach interessanten Dingen, die wir angliedern oder kaufen können.

Die nächsten Jahre werden aufgrund der Liquiditätsprobleme, die kleine Unternehmen haben könnten, günstig für Akquisitionen sein. Welche Absichten haben Sie in Bezug auf Übernahmen?

Dazu können wir nicht viel sagen, da wir nicht offenlegen, wonach wir suchen. Aber wir halten ständig Ausschau und bewerten jedes Jahr Hunderte von Möglichkeiten. Die derzeitige Phase könnte aus wirtschaftlicher Sicht tatsächlich interessant sein. Wahrscheinlich werden mehr Unternehmen versuchen, ihre Technologie zu verkaufen. Der Preis ist jedoch in der Regel kein ausschlaggebendes Kriterium. Am wichtigsten ist es, sicherzustellen, dass es sich um eine gute strategische Option handelt.

 

«Wir haben uns sehr stark im oberen Preissegment entwickelt. Der Vergleich mit Apple ist schmeichelhaft.»

 

Sie haben in diesem Herbst in den USA eine tragbare Spielkonsole namens G Cloud auf den Markt gebracht. Wie sehen die ersten Erfahrungen aus?

Die Kritiken waren sehr positiv. Ich war von dieser Resonanz sehr angenehm überrascht, da es sich meiner Meinung nach um ein Produkt der ersten Generation handelt. Und das Cloud-Gaming steckt noch in den Kinderschuhen. Wir wissen nicht, wie schnell es sich entwickeln wird und welche Funktionen den Leuten gefallen werden. Wir werden sehen, wohin uns das führt, aber ich bin wirklich sehr optimistisch.

Das Format der G Cloud ähnelt dem der Nintendo Switch. Wollen Sie damit konkurrieren?

Wissen Sie, ich ärgere mich jedes  Mal, wenn jemand das Wort Konkurrent ausspricht. Die Leute konzentrieren sich zu sehr auf ihre Konkurrenten. Ich denke nicht so, sondern orientiere mich eher an den Kundenbedürfnissen. In diesem Fall meine ich, dass Sie eine Switch und unsere Konsole besitzen können. Die beiden Produkte haben unterschiedliche Verwendungszwecke, wobei die G Cloud eine Konsole ist, die strikt online funktioniert und deren Spiele in der Cloud laufen.

Ihr Produktsortiment ist seit zwei oder drei Jahren eher im Premiumsegment angesiedelt. Ist das eine Nische, in der Sie bleiben werden? Man denke an den Weg, den Apple seit einem Jahrzehnt eingeschlagen hat...

Wir haben uns in der Tat sehr stark im oberen Preissegment entwickelt. Wir bewundern Apple wirklich. Der Vergleich ist schmeichelhaft, und es handelt sich im Hinblick auf Design und Nutzererfahrung um eine Quelle der Inspiration.

Sehen Sie Anzeichen für eine Verbesserung des wirtschaftlichen Umfelds?

Ein sehr positiver Aspekt ist, dass sich die Sorgen um die Lieferketten deutlich verringert haben – sowohl im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Komponenten als auch bezüglich der Beförderung von Transportbehältern. Die Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, betreffen derzeit fast alle Unternehmen. Im letzten Quartal haben uns vor allem die Inflation und die Währungsvolatilität zu schaffen gemacht, die sich mit 500 Basispunkten auf unsere Bruttomarge ausgewirkt haben. Und diese Schwierigkeiten werden uns auch in den kommenden Monaten weiter belasten. Sie werden sich jedoch mit der Zeit wieder abschwächen. Kurzfristig wird man die Inflation unter Kontrolle bringen. Die Währungskurse werden sich stabilisieren und wahrscheinlich wieder auf das Niveau zurückkehren, auf dem sie zuvor waren. Daher bin ich im Hinblick auf die mittel- und langfristige Entwicklung positiv gestimmt.

Machen Ihnen die Schwierigkeiten bei der Beschaffung aufgrund der chinesischen Null-Covid-Politik keine Sorgen? 

Wir sind in dieser Hinsicht flexibler geworden. Vor drei oder vier Jahren hatten wir keine Produktionskapazitäten ausserhalb Chinas. Heute kommen 20 Prozent unserer Kapazitäten aus anderen Ländern, und ich denke, bis Ende des Jahres wird dieser Anteil auf 25 bis 30 Prozent ansteigen. Das gibt uns die Möglichkeit, unsere Produktion bei Bedarf zu erhöhen. Ich bin mit unseren Fortschritten in diesem Bereich zufrieden. Zwischen Zolltarifen, Covid und geopolitischen Fragen müssen wir flexibel sein.  

Sie sind seit zehn Jahren an der Spitze von Logitech. Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse?

Zunächst einmal, dass das Risikomanagement ein entscheidender Aspekt ist. Man muss immer in der Lage sein, die eingegangenen Risiken zu verantworten. Manchmal ist eine Produktkategorie eine Zeit lang erfolgreich, und dann funktioniert sie nicht mehr. Dann muss man bereit sein, die Dinge schnell zu ändern. Oft reagieren wir  nicht schnell genug. Das ist ein weiterer wichtiger Aspekt, den man kultivieren sollte: den Instinkt und den Mut zu schnellen Veränderungen zu haben. Und schliesslich liegt die wichtigste Erkenntnis wahrscheinlich in diesem Churchill-Zitat, das Logitech-Gründer Daniel Borel so gut gefiel: «Success is never final, failure is not fatal.» Und es stimmt: Man muss jeden Tag neu anfangen. Was Sie gestern erreicht haben, ist vorbei. Und ein Misserfolg ist niemals fatal, wenn Sie mit dem Risiko umgehen können.  


LANGE SICHT

«A very long term person», so beschreibt er sich selbst. Die zehn Jahre (im Januar nächsten Jahres) als Chef von Logitech bestätigen diese Charakterisierung. Unter der Leitung von Bracken Darrell hat sich Logitech von einer extremen Abhängigkeit von Computermäusen und Tastaturen befreit. Die Aktie des Unternehmens erlebte einen spektakulären Höhenflug. Bevor der herzliche 59-jährige Amerikaner zu der Schweizer Firma kam, hatte er sich in Führungspositionen bei mehreren multinationalen Unternehmen bewährt: Arthur Anderson, PepsiCo, General Electric, Procter & Gamble und schliesslich Whirlpool. Darrell ist Absolvent eines MBA-Studiengangs an der Harvard Business School und machte einen Bachelor of Arts in Englisch am Hendrix College in Arkansas. Darüber hinaus sitzt er im Beirat der Harvard Business School und zudem im Vorstand von Life Biosciences, einer Firma, die sich mit der Verlängerung der Lebenserwartung beschäftigt.